Elon Musks Milliarden gehen uns alle an – Seite 1
In nur 30 Minuten nimmt der Chef der Investmentgesellschaft Blackstone so viel ein, wie ein durchschnittlicher deutscher Arbeitnehmer im ganzen Jahr: Um gegen Ungerechtigkeit etwas zu tun, hat Gerhard Schick seit 2018 den Verein Bürgerbewegung Finanzwende mit aufgebaut. Der 52 Jahre alte Volkswirt saß bis 2018 für die Grünen im Bundestag. Er sagt: Um gegen Ungleichheit anzukommen, reicht eine Vermögensteuer nicht annähernd aus.
1:0 für meinen Neffen. Als wir über die Rolle von Elon Musk für die Zerstörung der Demokratie in den USA sprechen, will er (20 Jahre, Jurastudent) anhand einer Frage testen, ob ich (52 Jahre, Finanzexperte) mir die Dimensionen des Musk-Vermögens überhaupt vorstellen kann. Ich soll nicht kopfrechnen, sondern schnell schätzen: Wie viel müsste man seit dem Jahr 0, also seit Christi Geburt, einer Person jeden Tag schenken, damit sie heute das Vermögen von Musk in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar hat (ohne Zinsen)? Peinlich für mich: Obwohl ich mich täglich mit Milliardensummen beschäftige, unterschätze ich die Zahl deutlich. Doch dazu später mehr.
Die Geschichte zeigt, warum die Diskussion zur wachsenden Ungleichheit bei Vermögen so schwierig ist: Die Dimensionen sind gigantisch. Bei den Einkommen sind die Relationen noch einigermaßen greifbar. Der Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing verdient mit einem jährlichen Einkommen von rund 9 Millionen Euro (PDF) fast 200-mal so viel wie der deutsche Durchschnittsverdiener in Vollzeit mit etwa 50.000 Euro. Ganz anders sieht das bei den Vermögen aus. Dieter Schwarz, mit über 38 Milliarden Euro derzeit reichster Deutscher, hat über 100.000-mal (!) so viel wie der durchschnittliche deutsche Haushalt mit etwa 300.000 Euro Nettovermögen. Wer kann diese Abstände noch erfassen?
Die Verteilungsdiskussion krankt aber auch an einem anderen Problem: Die Fokussierung auf das Instrument der Vermögensteuer ist falsch. Wer würde denn, wenn das Wasser nach einem Rohrbruch im Keller steigt, als Erstes nach dem Eimer greifen und anfangen zu schöpfen? Muss man nicht zunächst den Haupthahn finden und zudrehen, um den Zustrom neuen Wassers zu stoppen? So ist es auch bei der Ungleichverteilung von Vermögen. Keine einzelne Steuer kann die Verteilungsunwucht unseres heutigen Wirtschafts- und Finanzsystems korrigieren.
Ursachen- statt Symptombekämpfung
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht zwar davon aus, dass der Staat mit einer Vermögensteuer zwischen 10 bis 20 Milliarden Euro an Steuereinnahmen generieren könnte. Insofern ist sie natürlich fiskalisch sehr relevant. Aber die steuerliche Korrektur der Vermögensungleichheit bliebe Symptomlinderung. Denn sie leistet an sich keinen Beitrag zur Korrektur der Primärverteilung, in den Geldbeuteln der Ärmeren bleibt dadurch erst mal nicht mehr.
Gerechtigkeit gelingt nur, wenn man nicht bloß dafür sorgt, dass Vermögende ein kleines bisschen mehr abgeben, sondern sicherstellt, dass immenser Reichtum nicht zulasten aller anderen noch weiter ansteigt. Es gilt, in der Verteilungsfrage endlich die Ursachen stärker in den Blick zu nehmen. Tut man das, ändert sich die Prioritätenliste bei der Bekämpfung der Ungleichheit und die politische Herausforderung wird klarer.
Natürlich gibt es nicht bloß die eine Ursache. Manche der größten Vermögen sind in der Plattformökonomie entstanden, durch natürliche Monopole. Elon Musk ist schließlich nicht der einzige Tech-Milliardär mit politischen Ambitionen. Doch Monopole lassen sich zerschlagen, auch die von Google oder der Facebook-Mutter Meta. Überrenditen lassen sich reduzieren, Plattformökonomie ist regulierbar.
Alle 30 Minuten ein durchschnittliches Jahreseinkommen
Andere Spitzeneinkommen und -vermögen fallen bei Finanzinvestoren an – auf unser aller Kosten. Stephen Schwarzman, der Chef der Blackstone-Group, mag wenigen bekannt sein. Im Vergleich mit ihm steht allerdings Christian Sewing wie ein armer Schulbub da. Denn Schwarzman verdiente 2023 satte 852 Millionen Euro, 90-mal so viel wie Sewing. Oder anders ausgedrückt: Er nahm in nur 30 Minuten so viel ein wie ein durchschnittlicher deutscher Arbeitnehmer in einem ganzen Jahr. Sein Vermögen beträgt fast 55 Milliarden Dollar. Doch wo kommt es her, und was hat das mit der Verteilungsdebatte zu tun?
Sein Fonds investiert unter anderem in Pflegeheime. Zielrenditen liegen in diesem Bereich bei 15 bis 20 Prozent. Wobei "investieren" das falsche Wort ist, denn solche Renditen erwirtschaftet ein Pflegeheim schlichtweg nicht. In solchen Fällen stecken Fonds kein Geld in das entsprechende Unternehmen. Sie ziehen Eigenkapital raus, indem die Schuldenquote deutlich erhöht wird, teils auf 100 Prozent.
Das ist Umverteilung von unten nach oben, weil Steuerzahlungen und Löhne gleichermaßen gedrückt werden und der Staat zudem gegebenenfalls bei Pleiten einspringen muss. Auch hier gilt: Der Staat könnte das stoppen, zum Beispiel durch eine Nachhaftung für die Finanzinvestoren im Falle einer Insolvenz – auch Jahre nach ihrem Ausstieg.
Das Pflegeheim-Beispiel steht für die generelle Problematik, dass sich die Finanzanlagen der Hochvermögenden deutlich mehr rentieren als die der Mittelschicht, während die untere, oft vergessene Hälfte der Bevölkerung netto sogar verliert, weil sie einen Armutsnachteil hat – höhere Kreditkosten und schlechtere Konditionen bei der Geldanlage. So geht die Schere im Finanzkapitalismus kontinuierlich auseinander. Es liegt schon einige Jahre zurück, dass Thomas Piketty diese Problematik detailliert herausgearbeitet hat.
Doch die politische Antwort darauf steht aus. Wer sie geben will, wird systematisch extraktive Geschäftsmodelle, mit denen der Finanzsektor Wert aus der Gesellschaft entzieht und somit Schaden anrichtet, ausbremsen müssen, etwa bei der Spekulation mit Wohnraum oder Agrarland. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Normalverdienende vollständig an der Wertsteigerung in unserer Volkswirtschaft partizipieren und nicht große Teile der Rendite an Finanzvertriebe, Banken und Sparkassen verlieren.
Je reicher, desto nachsichtiger wird der Staat
Ein weiterer Grund sind die Privilegien der Superreichen: Wer drei Wohnungen erbt, zahlt Erbschaftsteuer. Wer 300 Wohnungen erbt, zahlt keine. Betriebsvermögen in Milliardenhöhe können durch verschiedene Ausnahmeregelungen im Erbschaftsteuerrecht in Deutschland in der Regel weitgehend steuerfrei in die nächste Generation übertragen werden, während kleinere und mittlere Erbschaften steuerlich belastet werden.
Oder: Wer eine Wohnung kauft, zahlt Grunderwerbsteuer. Wer allerdings einen Häuserkomplex kauft, steckt das Ganze in einen Unternehmensmantel und spart sich die Grunderwerbsteuer. Dabei wird eine Regelung ausgenutzt, wonach bei Unternehmensverkäufen die darin enthaltenen Übergänge von Immobilien nicht mit Grunderwerbsteuer belastet werden. Share Deals nennt man das. Und die funktionieren eben nicht für Normalbürger beim Einfamilienhaus oder einer einzelnen Eigentumswohnung, sondern nur bei großen Vermögenstransfers. So trägt die Mittelschicht die Hauptsteuerlast, während die Allerreichsten sich dank ihrer Privilegien der Steuerzahlung entziehen können.
Umverteilung von unten nach oben
Hinzu kommen staatliche Geschenke für Vermögende, die erschreckend wenig Aufmerksamkeit bekommen: In den Jahren 2014 bis 2022 hat die Europäische Zentralbank den Banken im Euroraum 36 Milliarden Euro geschenkt. Das ist eine immense Umverteilung von unten nach oben. Denn diese Subventionen kommen bei denen an, die Bankaktien besitzen. Dieses Aktienkapital ist, trotz des ETF-Booms der letzten Jahre, nach wie vor stark bei den Allerreichsten konzentriert.
Und die Kosten dieser Subventionen tragen alle Bürgerinnen und Bürger. Denn über einen geringeren Gewinn der Bundesbank als Miteigentümerin der EZB fehlen dadurch auch etwa 9 Milliarden Euro im Bundeshaushalt. Kein relevanter deutscher Finanzpolitiker hat sich dazu geäußert. Stattdessen wurde monatelang über potenzielle Einsparungen bei Bürgergeldempfängern in Höhe von 5 Milliarden Euro diskutiert.
Ärgerlich auch die Begünstigung von Superreichen bei schlecht gemachten Rettungsaktionen: In der Pandemie flossen 680 Millionen Euro zum Schutz der Beschäftigten an Galeria Kaufhof. Allerdings "vergaßen" unter Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Beamten zu unterbinden, dass die Hilfsgelder an den Multimillionär René Benko als Eigentümer der Immobilien durchgeleitet werden. Nun sind die Jobs weg – und die Millionen auch.
Vermögen und Einfluss
Wie gesagt: All das ließe sich verhindern. Die Ideen und Konzepte dafür sind da, es fehlen jedoch die politischen Mehrheiten. Was wiederum kein Wunder ist, denn wer sich an die Ursachen der Verteilung von unten nach oben macht, sieht sich schnell mächtigen Lobbyisten gegenüber. Diese Erfahrung machte zuletzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dessen Versuch, investorengetragene medizinische Versorgungszentren zu regulieren, an den starken Interessenverbänden scheiterte.
Wenn sich einzelne Vermögende wie Elon Musk mit für sie relativ überschaubaren Summen ganze Kommunikationskanäle kaufen oder direkt in Regierungsämter gelangen können, wenn die Gehälter von Richtern oder die Wahlkampfbudgets von Politikerinnen Peanuts sind für Hochvermögende, die ihre bestehenden Vermögen sichern und zusätzliche Einkunftsquellen erschließen wollen, dann entsteht ein problematischer Kreislauf aus Überrenditen und Privilegien. Der mit 85,5 Milliarden Dollar zweitreichste Mann Indiens, Gautam Adani, soll für 250 Millionen Dollar Beamte bestochen haben.
Für viele Beamte war das jeweils viel Geld, für ihn nicht mal 0,5 Prozent seines Vermögens. In Deutschland finanzieren die Milliardärsfamilien die Lobbyarbeit der Stiftung Familienunternehmen und Politik. Ihr jährliches Budget für Lobbyarbeit beträgt laut Lobbyregister gut 2,2 Millionen Euro. Seit 2009 wurden aufgrund dieses Lobbyeinflusses über 84 Milliarden Euro an Erbschaftsteuern nicht gezahlt. Leicht "verdientes" Geld!
Die Einführung einer Vermögensteuer kann und wird keines dieser Probleme beheben. Wer das tun möchte, muss den Haupthahn zudrehen, also sehr systematisch die Ursachen der übermäßigen Vermögenskonzentration angehen und die Macht des großen Geldes brechen. Am besten, bevor auch in Deutschland die Vertreter derjenigen, die von den Missständen profitieren, in direkte Regierungsverantwortung kommen.
Was uns wieder zu Elon Musk bringt. Wie viel müsste man seit dem Jahr 0 einer Person jeden Tag schenken, damit sie heute das Vermögen von Musk hat? Die Antwort auf die Frage meines Neffen lautet: 540.000 Euro. Diese Summe Geld hätten Sie seit Christi Geburt jeden Tag bekommen müssen, um ein Vermögen von 400 Milliarden zu erreichen. Das ist in der Tat: unvorstellbar. 400 Milliarden Euro sind kein Vermögen einer einzelnen Person mehr – sondern ein Problem für alle. Gehen wir es an.